Veröffentlicht im Echinger Forum 07/2024
Mit der Maß werden wir Echinger und (gebürtigen) Münchner uns im Herbst auf der Wies'n befassen: Was sie kostet und ob gut eingeschenkt worden ist. Im Juni hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof über eine ministerielle Genehmigung befunden. Sein Urteil wirkt auf mich, als billige man bei einer staats-nahen Institution, konkret der TU München, etwas, das in der Gastronomie einer Maß entspräche, bei der die Blume schon am Boden des Krugs beginnt. Problemgegenstand ist der Forschungsreaktor in Garching, der 2004 in Betrieb gehen durfte, wobei die Genehmigung forderte, ihn so umzubauen, dass er mit weniger stark angereichertem - das heißt, nicht waffentauglichem - Uran laufen kann.
Anreicherung ist eine Art Sortieren von Atomen nach Gewicht. In natürlichen Vorkommen weisen 0,72% der Uranatome das Atomgewicht 235 auf. Um die Kettenreaktion in einem Atomkraftwerk aufrechtzuhalten, braucht es für die Brennstäbe ein Uran, bei dem mindestens 3 Prozent der Atome dieses Gewicht aufweisen. Ab einer Anreicherung von 60 Prozent ist Uran brisant genug, um damit Bomben zu bauen. Und sogar auf 93 Prozent ist anzureichern, wenn Brennelemente für den Garchinger Reaktor in seiner ursprünglichen Bauart hergestellt werden sollen. Für ein Jahr Betrieb bräuchte er vier Brennelemente, jedes davon enthält spaltbares Material, das auch für eine Bombe reichen würde [1].
Dass dieser Umbau binnen zwanzig Jahren nicht geschah, lässt entweder an der Kompetenz oder an der Seriosität des Betreibers zweifeln. Keines von beidem war offenbar für die Richter von Bedeutung. Stattdessen sahen sie sich anscheinend berufen [2], zu klären, ob die Forderung zum Umbau bloß "Nebenbestimmung" oder ein wesentlicher Inhalt der Betriebsgenehmigung war. Mit Logik wäre zweiteres zu folgern, schließlich nennt die Genehmigung das Jahr 2010 als Frist. Dass das ein Verwaltungsgericht auch anders sehen kann und infolgedessen ein Passus der Betriebsgenehmigung zu verbalem Schaum verkommt, erweist das höchstrichterliche Urteil nun.
Aus naheliegenden Gründen wurde der Umgang mit stark angereichertem, das heißt, waffentauglichem Uran zum Gegenstand von internationales Verträgen, denn es bestand ein Interesse, dessen Verbreitung zu verhindern. So kam es, dass sogar die USA als Verbündete nie bereit waren, das für den Garchinger Forschungsreaktor gebrauchte Uran zu liefern. Obwohl sich die TU München bezüglich des Lieferanten ausschweigt, sind Geschäfte mit der quasi-staatlichen Atomwirtschaft Russlands belegt [3]. Faktisch beschert der Reaktor im aktuellen Zustand eine Abhängigkeit, die mit der vom Erdgas aus den North-Stream-Leitungen vergleichbar ist, Diese Abhängigkeit sollte für die Staatsregierung ein erster Grund sein, sich vom TU-Reaktor loszusagen.
Wobei dieser Schritt kaum Nöte auslösen wird, denn in den letzten fünf Jahren lief die Garchinger Anlage nur drei Monate [3]. 2019 ließen wegen verschärfter Sicherheitsanforderungen beim Transport die Brennelemente auf sich warten. Nachdem der Reaktor 2020 wieder angefahren wurde, entwich wegen eines falsch angeschlossenen Abluftschlauchs Radioaktivität. Also war ein - verzögert gemeldeter und nachträglich hochgestufter - Störfall zu klären. 2022 erwies sich der "Zentralkanal" des Reaktors als undicht. Er soll bis 2025 ersetzt sein.
Immerhin mindert dieser Sachstand Kalamitäten anderswo. Von den 50 Plätzen des Abklingbeckens in Garching sind 47 mit alten Brennelementen belegt. Sie enthalten weiterhin waffentaugliches Material. Laut einer Vereinbarung mit EON aus dem Jahr 1995 sollten sie in ein Zwischenlager des Stromkonzerns nach Ahaus. Doch steht für diese Lösung die Genehmigung noch aus; und, falls sie ergeht, erwägt die Stadtverwaltung von Ahaus ein Klage dagegen [3].
Am Ende erlaube ich mir festzuhalten, dass man den Atomausstieg besser auch auf den Garchinger Forschungsreaktor angewendet hätte und dass die drei Jahrzehnte zurückliegende Entscheidung, Neutronen für die Materialforschung mittels Atomspaltung statt durch "Spallation" zu erzeugen, falsch gewesen ist.
In ihr wird ein Schwermetall wie Blei oder Wolfram mit Protonen beschossen, denen in einem Beschleuniger eine Energie von mehreren hundert Mega-Elektronenvolt verliehen wurde. Pro Proton werden 10 bis 50 Neutronen frei. Mit dieser Methode kann das Hundertfache des Neutronenfluss eines Kernreaktors erzeugt werden. Sie benötigt kein spaltbares Material und der Betrieb ist mit erheblich geringerer Radioaktivität verbunden.
zusammengefasst und vereinfacht aus der Brockhaus EnzyklopädieDa die mit der Kernspaltung verbundene Hitze die Dichte des Neutronenflusses nach oben begrenzt, sind die stärksten Neutronenquellen allesamt Spallationsquellen. Eine in Betrieb befindliche Anlage ist SINQ in Villigen (Schweiz). Im Bau ist die Europäische Spallationsquelle in Lund (Schweden).
laut Wikipedia-Artikel "Neutronenquelle"Markus Hiereth